UteGlaser                                                                                                                                                E-Mail                    
Journalistin

 

3. August 2002

Koelner Stadt-Anzeiger online - www.ksta.de

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Story: Ein neues Gesicht für Maria - Hilfe von Ärzten, Schwestern, Kirchen und Privatleuten für eine Aeta-Frau  
Infos: Meningozele - der medizinische Befund  
Interview: Carmen Rössel-Dapilos, die Initiatorin, im Gespräch

  

Ein neues Gesicht für Maria

Der Fall von Maria Estrella Samonte ist weltweit wohl einmalig: Eine Meningozele auf der Stirn einer Erwachsenen ist ein medizinisch spektakulärer Befund. Für die kleine Frau bedeutete er eine lebenslange Bürde. Bis Hilfe aus Bergisch Gladbach kam. 

Rheinisch-Bergischer Kreis – Maria saß in ihrem weißen OP-Hemd auf dem Bett. Nein, Angst vor der Operation habe sie nicht, sagte sie lächelnd. „Ich schlafe ja.“ Und wenn sie aus der Narkose aufwache, so hatten ihr alle versichert, dann sei sie ihren Makel los. Diese Missbildung auf der Stirn, die sie von Geburt an begleitet und behindert hat. Diese Wucherung, von der sie immer gesagt hat „Das ist meine dritte Brust“. Denn genau so sieht sie aus.

Der Operationssaal 4, in dem sich Marias Leben verändert, gehört zum Klinikum Köln-Merheim. Viele tausend Kilometer von Marias philippinischer Heimat entfernt. Dort hatte sich niemand um sie gekümmert. Der Vater lief erschreckt aus der Hütte, als er die neugeborene Tochter sah. Das war vor etwa 49 Jahren am Fuß des Berges Isarog auf der Hauptinsel Luzon – etwa acht Autostunden südöstlich von Manila. Als Kind wurde Maria, das zarte Ureinwohner-Mädchen vom Aeta-Stamm der Cuayaoyao, auf Jahrmärkten ausgestellt, um das Familieneinkommen aufzubessern. Später, als die Eltern gestorben waren, nahm die Familie des Bruders Maria auf.

Doch dann wurde Marias Leben auf den Kopf gestellt. Das war an einem Tag im Dezember 2001, als Carmen Rössel-Dapilos (51) den Stamm besuchte. Die Bensbergerin engagiert sich in ihrer Freizeit für ihre philippinische Heimat und organisiert seit 1990 Hilfsprojekte. Bei einem ihrer Besuche lief ihr Maria buchstäblich über den Weg.

Aus Neugier wurde Betroffenheit. Carmen Rössel-Dapilos, die im Evangelischen Krankenhaus Bergisch Gladbach (EVK) als Krankenschwester auf der gynäkologischen Station arbeitet, fotografierte die ungewöhnliche Missbildung und zeigte die Bilder ihrem Chef, Professor Dr. Bernhard Liedtke. Liedtke, der als Chefarzt der Frauenklinik das Brustzentrum des EVK mitgegründet hat, hatte solch einen Befund noch nie gesehen. „Das sieht wie eine Brust aus, kann aber eigentlich keine sein“, urteilte er. Denn im Kopf gebe es keine Milchleiste. Am wahrscheinlichsten schien ihm eine Wucherung von Bestandteilen der Haut. Zur genauen Diagnose war eins unerlässlich: Maria musste nach Deutschland kommen. Vom Dschungel in die Großstadt.

Ebenfalls gratis wollte das EVK helfen, auch Privatdozent Dr. Werner Niermann, plastischer Chirurg aus Bensberg, stand in den Startlöchern. Würde Maria kommen? Sie kam. Den Kopf auf der langen Reise stets verhüllt traf Maria im Mai in Bensberg ein, wo sie sich bei Carmen Rössel-Dapilos und ihrem Mann einleben durfte. Die Kolpingfamilie Bergisch Gladbach unterstützte mit Geld und Kleiderspenden den Start, eine Bensberger Zahnärztin sanierte gratis Marias „Esszimmer“, wobei 13 Wurzeln gezogen werden mussten. Für Maria war es ein Leben wie auf einem anderen Stern. Dem 1,43 Meter großen und 30 Kilogramm leichten Persönchen tat das sichtlich gut: Es nahm fünf Kilogramm zu.

Doch die Aufnahmen des offenen Kernspintomographen im EVK bescherten eine überraschende Diagnose: Die „dritte Brust“ ist weder eine versprengte Brustdrüsenanlage noch ein Tumor. Maria lebt mit einer Meningozele, einer Aussackung der Hirnhaut – verursacht durch einen Defekt am Schädel. Beide Stirnbeine sind nicht zusammengewachsen und durch das im Durchmesser fünf Zentimeter große Loch stülpt sich die Hirnhaut nach außen.

Für Liedtke bedeutete das: „Wir können hier im Krankenhaus nicht operieren.“ Ein Neurochirurg war jetzt gefragt. Liedtke gewann für Marias Fall eine Koryphäe: Professor Dr. Jürgen Menzel aus Forsbach. Seit 21 Jahren ist er Chefarzt der Neurochirurgie im Merheimer Klinikum, der mittlerweile größten Neurochirurgie Deutschlands. Als Maria sich Menzel vorstellte, zeigte er sich vom Befund beeindruckt: „Das ist eine absolute Rarität.“ Eine Operation sei „eine technische Herausforderung“, aber verantwortbar. Menzel wollte auf ein Honorar ebenso verzichten wie Professor Dr. Dr. Gerald Spilker, renommierter Chefarzt der Plastischen Chirurgie in Merheim, der nach dem neurochirurgischen Eingriff das neue Gesicht von Maria formen würde.
  
Geld aus Pfarrgemeinden

Aber dennoch wäre es zur Operation beinahe nicht gekommen, weil die Liegezeit im Merheimer Klinikum finanziert werden musste. Woher sollten Carmen Rössel-Dapilos und Maria mehrere tausend Euro nehmen? Drei Kirchengemeinden sprangen spontan in die Bresche: die evangelischen Kirchengemeinden Bergisch Gladbach und Bensberg sowie die katholische Pfarrgemeinde St. Nikolaus Bensberg. Eine ökumenische Aktion, die dafür sorgte, dass Anfang Juni die Chefärzte in zwölfstündiger Operation Maria von ihrem Makel befreiten. Zunächst wurde ein Stück Muskelgewebe aus dem Oberschenkel entnommen, das dann – wie ein Flicken – von Professor Menzel von innen auf das Loch im Schädel gesetzt wurde, um es zu verschließen. Anschließend trug Professor Spilker den Hautsack ab, brachte Marias Augen auf ein Niveau und formte so ihr Gesicht neu.

Beim ersten Blick in den Spiegel war Maria sprachlos, später strahlte sie: Ihr Antlitz sei „wunderschön“. Sie genießt es, bei einem Eis unter Menschen sitzen zu können – mit ganz freier Sicht. „Ich muss mich nicht mehr verstecken“, sagt sie strahlend. Der verhüllte Kopf ist passé. Sie kann sogar mit dem rechten Auge sehen. Anfang September wird Carmen Rössel-Dapilos ihren Schützling zurück begleiten in die Heimat – und in ein anderes Leben. Maria weiß schon, was sie als erstes tun möchte: Beflügelt von ihrem neuen Selbstbewusstsein will sie den Bürgermeister ihres Dorfes besuchen und ihm die vielen Fotos aus Deutschland zeigen. 

 


In fast allen Fällen schon beim Säugling operiert 

Der medizinische Befund
ist eindeutig: Maria hatte eine Meningozele auf der Stirn, das heißt eine Aussackung der Hirnhaut. Die Ursache dafür war ein Defekt am Schädel: Die beiden Stirnbeine waren nicht zusammengewachsen. Ein fast kreisrundes Loch mit etwa fünf Zentimeter Durchmesser klaffte daher im Schädel. Mangels Widerstand konnte sich die Hirnhaut nach außen stülpen. Sehr selten kommen Meningozelen vor. Sie sind ein angeborener Defekt und werden in der westlichen Welt bereits beim Säugling operiert. Meningozelen bei Erwachsenen gibt es daher eigentlich gar nicht. Marias Glück: Gehirnanteile waren nicht in der Meningozele, sondern nur Hirnwasser und kleine Gewebeanteile. Das machte die Operation weniger risikoreich. Eine Laune der Natur: Dass Marias Meningozele wie eine dritte Brust aussah, ist wohl reiner Zufall und einmalig. Die vermeintliche „Brustwarze (Mamille)“ hat sich gebildet, so vermuten die Ärzte, weil die Zellen an der Spitze der Wucherung verstärkt gereizt wurden und darauf mit einem vermehrten Zellwachstum reagierten. (ug)

 

  
"Für mich ist diese Frau wie ein Schrei gewesen"

Carmen Rössel-Dapilos (51) ist Krankenschwester am Evangelischen Krankenhaus. Seit 1990 engagiert sie sich mit vielfältigen Hilfsprojekten für ihre philippinische Heimat. 2001 erhielt sie dafür das Bundesverdienstkreuz. Ute Glaser sprach mit ihr.

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Sie haben Maria Samonte entdeckt. Was war ihr erster Gedanke?

RÖSSEL-DAPILOS: So etwas, was wie eine Brust aussieht, hatte ich noch nie im Gesicht gesehen. Und ich dachte, das ist für die Ärzte in dem Krankenhaus interessant, in dem ich arbeite. Denn dort gibt es ein Brustzentrum.

Sie haben Maria auf den Philippinen abgeholt, werden sie wieder hinbringen, haben sie drei Monate beherbergt und sitzen im Krankenhaus fast täglich am Bett. Wieso dieses Engagement?

RÖSSEL-DAPILOS: Ich finde, Maria hat auch ein Recht, wie wir zu leben. Und wenn ich eine Möglichkeit sehe, zu helfen, dann kämpfe ich dafür. Kraft gab mir, dass ich die Hilfe des Krankenhauses hatte.

Sie haben sechs Vorschulen in ihrer Heimatprovinz auf der Insel Luzon gebaut. Sie haben das deutsche Duale System der beruflichen Bildung dort eingeführt, eine Bambus-Plantage mit Möbelmanufaktur aufgebaut, Alphabetisierungs- und Nähkurse für Erwachsene angeboten und für zahlreiche landwirtschaftliche Hilfen gesorgt. Warum?

RÖSSEL-DAPILOS: Ich fand es immer wunderbar, wie Deutsche sich für Menschen in der Dritten Welt einsetzen. Und deshalb möchte ich als gebürtige Philippinin auch etwas tun. Ich möchte den Menschen in meiner Heimat helfen. Ich liebe diese Arbeit, nicht nur mein Land.

Wer hilft Ihnen, denn es gibt ja keinen Verein?

RÖSSEL-DAPILOS: Doch, auf den Philippinen habe ich die „Hänsel und Gretel Foundation“ für die Schulen gegründet, was einem Verein entspricht. Hier in Deutschland arbeite ich alleine, aber es unterstützen mich viele Freunde und Förderer. Besonders die Kolpingfamilie Bergisch Gladbach, der Lions-Club Bergisch Gladbach-Bensberg, der Unternehmer Andreas Hofmann aus Ingolstadt, die Pfarre St. Nikolaus Bensberg und einige andere Pfarreien.

Hat die Begegnung mit Maria eine Bedeutung für Sie?

RÖSSEL-DAPILOS: Für mich ist diese Frau wie ein Schrei gewesen. Ein Schrei ihres Volkes, der Aeta. Sie sind von allen vergessen. Obwohl es in ihrer Nähe Ärzte und Geistliche gibt, kümmert sich niemand um sie. Sie sind Analphabeten, leben unter dem Existenzminimum. Für mich ist es so, als hätten sie in ihrer Not so laut geschrien, dass ihr Schrei in Maria Gestalt angenommen hat. Maria wird geholfen, jetzt hoffe ich, dass auch für die anderen Aeta mehr Hilfen möglich sind.

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